14.11.2025

TRAVEL STORYS

in der kurdischen presse

Es ist unser zweiter Tag im kurdischen Teil des Iraks, als Jonas mitten im Gespräch abwesend wird und fasziniert in den Himmel schaut. Ich folge seinem Blick und erblicke über unseren Köpfen einen Gleitschirmflieger. Erst einen, dann noch einen, und am Ende sind es sechs Stück.

Wir schauen uns an – man kann hier Gleitschirm fliegen? Sofort fängt er an zu tippen, zu recherchieren und zu suchen und wird auf Instagram fündig: Aero Club Dohuk. Verrückt. Wir überlegen unsere Pläne neu und beschließen, eine Nachricht zu hinterlassen. Vielleicht besteht ja die Möglichkeit, auch dabei zu sein?

Wir haben Glück: Es ist Wochenende, das findet hier von Freitag bis Samstag statt, und wir bekommen noch am Freitagabend eine Antwort von Ahmed in bestem Englisch. Ja, morgen gehen sie nochmal fliegen, wir können gerne dazukommen. Nach ein bisschen Hin und Her steht der Treffpunkt fest, ein anderer Spot auf der anderen Seite der Stadt.
Am nächsten Tag sind wir, besonders Jonas, etwas aufgeregt: Gleitschirmfliegen im Irak, wer hätte das je gedacht?

Am Treffpunkt angekommen, sind wir natürlich zu früh, Classic Germön. Nach und nach trudeln die anderen ein, Jonas richtet seine Sachen. Ich richte mich aus Neugier auf einem Stein neben dem Startplatz mit meinen Häkelsachen ein und beobachte das Treiben. Die Runde ist locker und entspannt, circa fünf bis sechs Männer und eine Frau. Ich bin überrascht, aber auch sie gleitet zwischen all den anderen mit dem Schirm ins Tal. Das hatten wir nicht erwartet. Kurz bevor Jonas startet, kommt Ahmed auf mich zu und fragt, ob ich auch fliegen möchte, als Tandem. Ich bin erneut überrascht, überlege blitzschnell und finde eigentlich keinen Grund, der dagegen spricht. Währenddessen ist Jonas bereit für seinen ersten Flug im Irak. Er läuft an, hebt ab und schwebt über der schönen Weite Kurdistans.

Schnell gehe ich zurück zum Van und ziehe mir etwas Praktischeres an. Ich werde gerade angeschnallt, als Jonas wieder von seinem Flug hochkommt. Es geht alles ganz fix. Mir wird eine Instax360 in die Hand gedrückt. Mohammed, mein Tandempartner, fliegt normalerweise für das Nationalteam. Wir laufen an, heben ab und schwuppdiwupp bin ich auch in der Luft. Ein tolles Gefühl.

Wie abgemacht rufe ich in die Kamera „Welcome to Kurdistan“. Dieses Video wird nachher auf einigen Nachrichtensendern und Social-Media-Kanälen gepostet. Viel zu schnell ist der Flug vorbei, und wir landen, kurz nach uns auch Jonas nach seinem zweiten Flug.

Auf der Landwiese kommen wir mit den anderen Fliegern ins Gespräch und es werden Getränke und Gebäck gereicht. Die Stimmung ist locker und ausgelassen. Zwei weitere Flieger sind heute das erste Mal alleine geflogen, die Euphorie und Freude ist groß, und man spürt den Zusammenhalt und den Support untereinander. Wir werden wie selbstverständlich integriert. Viele sprechen gutes Englisch und helfen beim Übersetzen aus, wenn andere an ihr Ende kommen.

Ich gehe auf die Frau zu und wir quatschen ein bisschen. Sie ist etwas schüchtern, erzählt mir aber, dass sie seit fünf Jahren hier in Dohuk fliegt, zusammen mit eigentlich noch zwei anderen, die aber nun leider weggezogen sind. Deshalb fände sie es toll, wenn wieder andere Frauen dazu kämen.

Die Familie eines weiteren Mitglieds kommt an. Die Tochter, ungefähr drei Jahre alt, wird freudig von allen begrüßt und direkt uns vorgestellt. „Ihr könnt sie haben, ihr könnt sie haben“, ruft der Vater. Das Mädchen ist schüchtern und lässt meine Hand die nächsten Minuten nicht los, bevor sie zurück zu Mama will.

Wir quatschen noch eine ganze Weile mit der Gruppe, werden zu einem Fest eingeladen und die beiden Neuflieger werden noch mit etwas Wasser getauft. Dann löst sich die Runde langsam auf und Ahmed fährt uns zurück zu Charly.

Wir kommen noch einmal ins Gespräch, diesmal etwas ernster. Wir teilen unsere Begeisterung über die tolle Kameradschaft und unsere Überraschung über die intersektionale Gruppe mit beiden Geschlechtern.

Er betont, dass hier Männer und Frauen willkommen sind und dass ihnen starke Frauen am Herzen liegen. Das Gespräch kommt auf seine Arbeit: Er arbeitet bei einer deutschen Organisation, die sich für den Klimaschutz und für bessere Chancen für Frauen einsetzt. Eine spätere Recherche ergibt, dass es die Organisation Care ist. Wir sprechen über den vielen Müll und darüber, dass langsam ein Bewusstsein dafür entsteht, dass man diesen nicht einfach aus dem Autofenster werfen sollte, und dass es Alternativen zur Plastikflasche gibt. Er erzählt uns von dem Anliegen, Mädchen und Frauen zu stärken. Es ist bei allen Anliegen noch viel zu tun, aber man darf nicht vergessen, dass dieses Land bis vor zehn Jahren noch voller Krieg und Chaos steckte, und man auf jeden Fortschritt stolz sein darf.

Als wir auf das Thema Flucht und Migration zu sprechen kommen, merkt man noch einmal deutlich, wie wichtig es ihm ist, hier vor Ort einen Unterschied machen zu können, wie stolz er auf sein Land ist und dass er bereit ist, an einer lebenswerten Zukunft für alle zu arbeiten.

Das Gespräch ist total schön und gibt uns Hoffnung, dass Wandel und eine Zukunft, die für alle lebenswert ist, keine Utopie sind, sondern dass es nur Menschen braucht, die daran glauben und Stück für Stück daran arbeiten.

Wir verabschieden uns und beschließen, in Kontakt zu bleiben. Bei der Rückreise sollen wir gerne vorbeikommen, dann zeigt er uns seine Arbeit.

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Kontakt: info(at)wannsindwirdaa.de
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