30.10.2024

TRAVEL STORYS

Bosnien und Herzegowina

ein Land im Aufbruch?

Mit freudiger Erwartung fahren wir über die kroatisch-bosnische Grenze. Das erste Mal verlassen wir mit Charly die EU, das erste Mal haben wir auf dieser Reise das Gefühl, hier die Möglichkeit zu haben, in eine ganz neue Kultur eintauchen zu können.

Bosnien & Herzegowina, einst das Tor zum osmanischen Reich, seit jeher ein Schmelztiegel der Kulturen und Religionen. Mal friedlich, aber auch mal gewaltsam.

Wir haben Freunde und Bekannte mit bosnischen Wurzeln und doch wissen wir unfassbar wenig über dieses Land und seine Geschichte. Zeit, das zu ändern.

Bosnien & Herzegowina empfängt uns mit atemberaubend schöner Herbstlandschaft. Die Natur ist unglaublich vielseitig und durch die Off-Season sind wir an vielen Hotspots fast alleine. Aber nicht komplett, wir werden immer wieder von freundlichen Einheimischen gegrüßt und wir stellen schnell fest, dass hier viele Menschen auch Deutsch sprechen.

Die ersten Recherchen werden gemacht, wir lesen Bücher und beschäftigen uns mit der Geschichte des Landes. Bosnien und Herzegowina war genauso wie Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro und Nordmazedonien ein Teil von Jugoslawien. Bis zum Jugoslawien Krieg. Den Begriff kennen wir, tiefer gehendes Wissen dazu? Fehlanzeige. Irgendwo in diesem schwarzen Loch: als 90er Kinder waren wir noch zu jung, um das aktiv mitzubekommen und in der Schule ging es gefühlt nur um das römische Reich. Also schauen wir uns das jetzt genauer an.

Ein Blick auf die Geschichte

Jugoslawien war ein multiethnisches Volk. Muslime, Orthodoxe und Katholiken lebten durchmischt beinander, eisern zusammengehalten unter der Regierung des Staatspräsidenten Tito. Serbien war eher orthodox, Kroatien eher christlich, Montenegro ebenfalls orthodox, Albanien muslimisch und Bosnien & Herzegowina mittendrin ein bunter Mix. Mit Titos Tod nahm der Nationalstolz zu, einzelne Länder begannen sich Anfang der 90er Jahre unabhängig zu erklären. Erst Slowenien, dann gewaltsamer Kroatien. Dann schließlich auch Bosnien. Das Land zerbrach, Nachbarn verschiedener Religionen die zuvor friedlich zusammen gelebt hatten, konnten sich nicht mehr gegenseitig über den Weg trauen. Es geschehen fürchterliche Verbrechen und der größte Genozid seit dem zweiten Weltkrieg an der bosnischen Bevölkerung.

Irgendwann sehr spät schritt die Nato ein, es wurde ein Friedensvertrag geschlossen und fortan hat Bosnien nun drei Präsidenten. Einen serbischen, einen kroatischen und einen bosnischen. Über diesen drein gibt es noch einen hohen Repräsentanten, eine Art Aufpasser und Streitschlichter aus der internationalen Gemeinschaft. Und das bis heute. Aktuell ein Deutscher.

Aufgeteilt ist Bosnien zudem in zwei Republiken und dann noch mal in 13 Kantone. Die politische Lage ist komplex und kompliziert und erschwert den Fortschritt des Landes.

Deutsch spricht auch Anis. Nicht etwa, weil er wie viele Bosnier zu Kriegszeiten nach Deutschland geflüchtet ist und dort zur Schule gegangen ist, sondern weil er viel deutsches Fernsehen geschaut hat. Er ist 25 Jahre alt und führt zusammen mit seinem Papa ein Restaurant. Wir lernen die beiden kennen, weil das Restaurant und der Parkplatz davor ein beliebter Stop bei Van-Reisenden ist. Als wir die beiden Ende Oktober besuchen sind wir bis auf einen kurzen Besuch einer Familie aus Dubai alleine, denn es ist ja Off-Season.

Bosnien & Herzegowina ist übrigens ein beliebtes Reiseziel auf der arabischen Halbinsel, ein grünes fruchtbares Land, mit einer guten Infrasturktur für Muslime.

Zu Besuch bei Anis und seinem Vater

Die beiden servieren uns ihre Delikatesse, frische Forelle über dem Feuer gebraten. Simpel aber lecker. Wir sitzen in der gemütlichen Hütte zusammen und quatschen. Über Bosnien, über das Reisen und über die Jugend des Vaters. Anis übersetzt immer wieder. Wir sprechen über die Wahl am vergangenen Tag und die Überschwemmungen ein paar Wochen zuvor, über den Millionenschaden und leere Staatskassen. Wir landen schnell beim Thema Korruption. Bei einer komplizierten Politik die sich immer wieder gegenseitig blockiert. Wir sprechen über Perspektiven. Anis erzählt uns, dass heute neben Englisch auch Deutsch in der Schule gelehrt wird und dass einige Freunde von ihm nach Deutschland gehen für bessere berufliche Perspektiven. Ein guter Monatslohn als normale:r Angestellte:r in Bosnien: 400-500 Euro. Hätte Anis nicht das Restaurant mit seinem Vater, würde auch er Deutschland in Betracht ziehen, so kommen die beiden trotz Saisongeschäft gut über die Runden.

Der Nachmittag ist schön mit den beiden, die Verständigung mit dem Papa geht ohne Anis zwar nur mit Händen und Füßen, aber auch das klappt und Anis erzählt uns von der glorreichen Jugend seines Papas. Dieser holt stolz Fotos und gemalte Bilder von anderen Reisenden, die bie ihnen übernachtet haben. Die beiden haben eine Menge Geschichten zu erzählen und haben sich durch ihr Restaurant und ihren inoffiziellen Campingplatz selbst eine Brücke in die Welt gebaut.

Private Campingplätze, die Kamps, sehen wir viele. Genauso wie Straßenstände, oft mit Honig oder saisonales Gemüse. Als wir vorbeifahren gibt es viel Kohl. Die Bosnier finden ihre Wege und vieles geht hier inoffiziell wohl sehr viel unbürokratischer zu als in Deutschland. Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Manchmal werden die Folgen nicht so bedacht, wir sehen viel Müll, ein übliches Balkan Problem. Aber vielleicht hat sowas auch nach nicht mal 30 Jahren nach dem Krieg noch keine Priorität. Die Gelder werden dringend woanders gebraucht.

Wir erleben die Menschen hier durchweg als sehr freundlich. Wurden immer mit offenen Armen empfangen und wann es sich ergab, wurde sich um ein Gespräch bemüht. In holprigem Deutsch, Englisch oder mit Händen und Füßen. Und auch untereinander sind die Menschen nicht so für sich wie in Deutschland. Ein Schwätzchen in der Tram mit Fremden ist hier ganz normal. Und von Anis wissen wir, auch wenn die drei Präsidenten nicht blendend miteinander auskommen, die Menschen tun es zum größten Teil und wünschen sich ein friedliches Miteinander und ein Vorankommen des Landes.

Wir werden Bosnien und Herzegowina auf jeden Fall als Land in Erinnerung behalten, was reich ist an wunderschöner Natur und Landschaften, aber auch an vielfältigen Kulturen, Religionen und Geschichte. Und wie so oft machen wir die Erfahrung, dass nicht alles schwarz weiß ist, sondern Geschichten undendlich viele Facetten haben.

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